Mein Name ist Adrienne Krappidel. Ich arbeite bei der Arbeiterwohlfahrt, der AWO. Wenn es um explodierende Mieten geht, wird oft von Studenten oder Familien gesprochen, die mit den Mietpreisentwicklungen nicht mehr Schritt halten können Aber mindestens genauso stark von dem Problem betroffen sind Seniorinnen und Senioren. Für sie möchte ich heute und hier meine Stimme erheben. Dies kann ich aus zwei Gründen: Erstens, weil ich täglich mit hilfebedürftigen Menschen zu tun habe, um die wir uns als AWO kümmern. Im Bereich der Pflege sind das viele ältere Menschen. Und zweitens, weil ich in meiner eigenen Biografie erfahren habe, was Woh- nung – insbesondere für ältere Menschen – bedeutet. Als ich vor 10 Jahren die Wohnung meiner Großmutter ausräumen musste, wurde mir diese Bedeutung schlagartig klar: WOHNUNG, das sind Namensschild, Tür und Schlüssel. WOHNUNG, das sind Düfte, Farben und Erinnerungen an der Wand. WOHNUNG, das sind Fenster, Nachbarn und Geschichten. WOHNUNG, das sind Sicherheit, Vertrauen, Heimat.. Und wenn etwas erst einmal Heimat geworden ist, fällt der Abschied schwer. Die AWO hat täglich mit Menschen zu tun, die sich von ihrer Wohnung aus gesundheitlichen Gründen verabschieden müssen. Oftmals akzeptieren Betroffene diesen Schritt, weil sie wissen, dass sie sich nicht mehr selbst ver- sorgen können. Doch wie will man Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, vermitteln, dass sie sich von ihrer Wohnung nicht aus gesundheitlichen Gründen verab- schieden müssen, sondern weil sie mit ihrer Rente die ständigen Mieterhö- hungen nicht mehr stemmen können. Seniorinnen und Senioren können sich keinen besser bezahlten Job suchen oder nach einer Gehaltserhöhung fragen. Ãltere Menschen müssen mit ihrer Rente auskommen! Und diese Rente ist zwischen 2007 und 2017 nur um durchschnittlich 22 Pro- zent gestiegen, während sich die Mieten – allein in Leipzig – um ganze 37 Prozent erhöht haben! Wenn diese Entwicklung so weiter geht, werden immer mehr ältere Menschen aus ihrer Wohnung, ihrer Heimat, finanziell vertrieben werden. Um diese Entwicklung zu stoppen, fordert die AWO schon seit langem unter anderem folgende drei Punkte: 1. Mehr Sozialwohnungen. Es kann nicht sein, dass es in Leipzig momentan nur 305 Sozialwohnungen gibt. Bereits in 6 Jahren brauchen wir mehr als 10.000. Bund und Länder müssen deshalb endlich stärker und nachhaltiger in den sozialen Wohnungs- bau investieren. Und die Länder sollen Wohnungsbaumittel nicht mehr zweck- entfremden dürfen! Außerdem sollen bereits bestehende Sozialwohnungen nach Auslaufen der Belegungsbindung nicht mehr in normale Wohnungen umgewandelt werden dürfen. 2. Mehr barrierefreie Wohnungen. Obwohl die Zahl älterer Menschen schon seit Jahren stetig zunimmt, leben nur rund 8% der Senioren in altersgerechten Wohnungen. Bereits bestehende barrierefreie Wohnungen müssen daher mit staatlicher finanzieller Unterstützung saniert werden können, aber so, dass sie anschlie- ßend auch noch für ältere Menschen bezahlbar sind. 3. Quartiersentwicklung fördern, damit Seniorinnen und Senioren den Weg zur ihrem Bürgeramt, ihrem Senio- renkaffee, ihrem Supermarkt oder ihrem lokalen Bäcker nicht verlieren. Freiheit, Gleichheit, Toleranz, Solidarität und Gerechtigkeit. Das sind die Werte, für die die AWO einsteht. Aus unserer Sicht müssen diese Werte auch wieder auf dem Wohnungsmarkt gelten, damit Leipzig eine Stadt für alle – auch für ältere Menschen – bleiben kann. Dafür wird sich die Arbeiterwohlfahrt mit aller Kraft einsetzen. Und wenn Sie uns dabei unterstützen möchten, dann kommen Sie gern vorbei...
Archiv der Kategorie: Hintergründe
Aufruf von Juliane Nagel zur Demo am 6.4.2019
Am 6. April gegen Verdrängung & Mietenwahnsinn/ Ab 12:00 gemeinsam vom Leipziger Süden zur zentralen Demo
Am 6. April 2019 gibt es einen europaweiten Aktionstag gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn. Auch in Leipzig findet ab 14:00 ab Bayerischer Bahnhof eine Demonstration statt. Wir laden ein gemeinsam vom Süden zur zentralen Demo zu laufen!
6. April, 12:00 ab Leopoldpark (Leopoldstraße / Wolfgang-Heinze-Str.): Steigenden Mieten die rote Karte zeigen – Für bezahlbaren Wohnraum für alle!
Leipzig wandelt sich in den vergangenen Jahren rasend schnell. Eine lebendige Stadt ist etwas schönes, doch die Mietsteigerungen in unseren Stadtteilen beobachten wir mit Sorge. Brachflächen werden mit nichtssagenden Betonhäusern bebaut, die ausschließlich für Menschen mit höheren Einkommen neuen Wohnraum bieten.
Andere Wohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt oder „modernisiert“ und zu hohen Preisen wieder angeboten. Davon profitieren Unternehmen und Investor*innen, sowie jene, die ihr Kapital in Immobilien anlegen. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in Leipzig, betrachtet diesen Prozess ohnmächtig als Zuschauer*innen am Rand. Dabei dürfen wir nicht vergessen: Fast 90 Prozent leben zur Miete! Die miesen Löhnen in Leipzig haben bei der Entwicklung der Kosten für unsere Wohnungen noch nie mitgehalten, so dass immer mehr Geld von unseren geringen Einkommen für Miete drauf geht. So titelte erst kürzlich eine Zeitung:
„Großstädtevergleich: Leipziger verdienen deutschlandweit am wenigsten. Im jüngsten Gehaltsvergleich von Fach- und Führungskräften in den zehn größten Städten Deutschlands landet Leipzig weit abgeschlagen auf dem letzten Platz.“ Also nicht mal die angeblichen „Führungskräfte“ der Stadt können etwas mit den neuen Häusern anfangen.
Die Verdrängung infolge der Aufwertung der Stadtteile nennt sich Gentrifizierung und ist in vielen Großstädten zu beobachten. Dies geschieht duch durch gezielte öffentliche und private Investitionstätigkeit. So werden – meist ohne die Anwohner*innen nach ihren Vorstellungen zu fragen oder wirklich einzubeziehen – Grünflächen und öffentliche Plätze verschönert und Altbauten denkmalgeschützt saniert, über viele Jahre mit staatlichen Hilfen und Begünstigungen. Aber auch zunehmende polizeiliche Kontrollen oder gar die Errichtung von Polizeiwachen wie in Connewitz, sind Teil des Prozesses. Ziel ist hier mit staatlichen Stellen wie Polizei oder Ordnungsamt Menschen aus den entsprechenden Stadtteilen zu vertreiben, die die Aufwertung stören. Auch wenn sich das Angebot und das Aussehen der Viertel verbessern mögen, steigen in den betroffenen Vierteln allmählich die Mieten. Familien, Alleinerziehende, Hartz 4 EmpfängerInnen, Rentner*innen und gering-Verdiener*innen haben das Nachsehen. Wenn sie die hohen Mieten nicht mehr zahlen können, müssen sie die Stadtteile, in denen sie seit langem gelebt haben, verlassen.
In Leipzig ist diese Veränderung nicht erst jetzt zu beobachten. Der Immobilienmarkt boomt, Immobilien sind eine beliebte Geldanlage. Hinzu kommt, dass viele Menschen ziehen seit Jahren in die Stadt ziehen. Von der schrumpfenden Stadt mit immensen Leerständen entwickelte sich Leipzig in sehr kurzer Zeit zu einer Stadt mit angespanntem Wohnungsmarkt. Immer weniger Wohnungen stehen leer, mietbaren Wohnungen stehen Neuankömmlingen und Umziehenden immer seltener zur Verfügung und die meisten Neubauten sind unter 11 Euro pro Quadratmeter nicht zu haben. Die Mieten nehmen in der Stadt rasant zu (von 2004 bis heute um die 40%).
Eine Gesellschaft in der Wohnraum nur noch als Ware gehandelt wird, deren Bau, Modernisierung und Vermietung hohe Gewinne erwirtschaften muss, führt zu massiven sozialen Problemen: Mittlerweile fehlen in Leipzig laut einer Studie über 40.000 preiswerte Wohnungen. Wer gerade nach Wohnungen sucht, wird die aussichtslose Lage zu spüren bekommen. Es finden einfach keine bezahlbaren Wohnungen mehr, außer vielleicht in den Plattenbauten am Stadtrand.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der jene reicher werden, die sowieso schon reich sind. Darauf hinzuweisen, ist nicht radikal noch verschwörungstheoretisch, es ist eine Tatsache. Die stete Mehrung von Vermögen basiert darauf, dass andere Menschen nichts haben und daher darauf angewiesen sind, zu schlechten oder mittelmäßigen Löhnen zu arbeiten, um dann ein Gutteil in Form von Miete wieder abzudrücken. Die einzige Möglichkeit das zu ändern, ist unsere gemeinsame Organisation in unseren Häusern, in unseren Stadtteilen und an unseren Arbeitsplätzen. Die einzige Möglichkeit gegen steigende Mieten ist ein widerständiges Viertel, eine widerständige Stadt, die sich gemeinsam und solidarisch gegen Entmietung und Verdrängung wehrt. Und die einzige Möglichkeit gegen eine profitorientierte Stadtpolitik vorzugehen, ist eine kollektive Protestkultur, die den Stadtrat und schließlich Land und Bund zwingt, Stadtpolitik im Sinne der Einwohner*innen zu machen. Dies ist wichtig gegen alle Parteien in Leipziger Stadtrat und bundesweit, die gerade jetzt in Zeiten des Wahlkampfes das Thema „Wohnungspolitik“ wieder entdeckt haben und seit Jahren nichts gegen die Zustände unternehmen, sondern lieber mit Aktueren der Immobilienbranche Golf spielen gehen.
Wir weigern uns, dass Leipzig immer mehr zu einer Stadt wird, die sich vornehmlich nach den Interessen der InvestorInnen und der Besserverdienenden richtet und aus der Menschen in Erwerbslosigkeit oder mit den schlecht bezahlten Jobs zunehmend verdrängt werden. Wir lassen uns nicht die Orte und Freiräume nehmen, die diese Stadt so lebenswert macht. Wir lassen uns nicht vertreiben. Das ist unsere Stadt!
Kommt daher mit uns am 6. April auf die Straße zum europaweiten Aktionstag in über 30 Städten gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn.
Wir treffen uns am 6. April um 12 Uhr Leopoldstraße / Wolfgang-Heinze-Str. und demonstrieren aus dem Leipziger Süden zur stadtweiten Demonstration ab 14 Uhr vom Bayrischen Bahnhof
Recht auf Stadt für alle!
Für eine solidarische Stadt, die kein Geschäftsmodell, sondern ein Ort für alle ist!
Die Stadt von unten aufbauen – Ein anarchistischer Aufruf
Aufruf aus dem Leipziger Westen
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Aufschwung für Wenige – Abstieg für Viele
Der Leipziger Westen entwickelt sich, der Leipziger Osten entwickelt sich, die Karli hat sich schon lange entwickelt und auch der Leipziger Norden ist wohl demnächst im Kommen. Selbst das Umland entwickelt sich. Alles entwickelt sich – doch wohin eigentlich?
Leipzig wird Großstadt, wird internationale Marke, wird „immer attraktiver“.
Doch bei all dem ist Leipzig vor allem eins: Unser Lebensmittelpunkt. Wir leben hier, arbeiten hier, studieren hier, gehen hier zur Schule. Wir bewohnen diese Stadt und dieses Viertel. Gemeinsam mit euch. Doch wenn die „Entwicklung“ von Leipzig so weitergeht, wird das nicht mehr lange so bleiben. Die Gentrifizierung schlägt voll zu, der Wohnungsmarkt wird knapper, die Preise explodieren. Die letzten Brachflächen verschwinden und der viele Neubau findet oft im Luxussegment statt. Viele mussten schon aus dem Leipziger Westen wegziehen, viele kleine Projekte und Gewerbe mussten schon schließen. Dieser Prozess nennt sich Gentrifizierung. Und wir alle kennen Menschen, die davon gerade auf die eine oder andere Art und Weise betroffen sind: Bekannte, deren Läden schließen mussten, Freund*innen, die Mietsteigerungen erleiden, Nachbar*innen die wegziehen müssen. In Leipzig gab es auch 2017 über 1000 angeordnete Zwangsräumungen – d.h. circa 3 pro Tag.
Gentrifizierung als Symptom, Kapitalismus als Ursache
Gentrifizierung ist dabei kein Naturprozess. Sie entsteht aus gesellschaftlichen Vorstellungen und Normen und diese sind veränderbar. Akteur*innen wie die CG-Gruppe oder die Stadtbau-AG formen die Stadt nach ihrer Profitlogik, Teile der Stadtpolitik „vermarkten die Stadt“ und fördern die marktwirtschaftlichen Dynamiken, zum Beispiel durch die Genehmigungen des Baus von Luxushäusern und ganzen „Reichenvierteln“ wie am Lindenauer Hafen. Der Kern des Problems liegt hierbei aber noch tiefer und ist nicht einfach nur in einer falschen Stadtpolitik zu suchen. Unsere Gesellschaftsordnung basiert auf der Idee von Privateigentum und stetig steigendem Profit. Alles in ihr wird zur Ware – der Marktwert zählt mehr als die Bedürfnisse. Diese Logik gilt es aufzubrechen und sich dagegen zu wehren.
Keine Forderungen an die Politik
Wir haben wenig Vertrauen in die Stadtpolitik. Zu sehr sieht diese die Stadt als Ware, die es zu vermarkten gilt, zu groß sind die sogenannten „Sachzwänge“, zu tief sind die Verstrickungen von Lobbyvereinen mit der Stadt. Statt Forderungen an die Politik zu stellen, die eh ignoriert oder denen ausgewichen wird, stehen wir ein für eine direkte Selbstorganisation der Betroffenen.
Wir wünschen uns ein Viertel, eine Stadt, ja eine ganze Gesellschaft, die nicht mehr auf das Privateigentum setzt, sondern auf die Selbstverwaltung. Wir wünschen uns, dass die Menschen für die Häuser verantwortlich sind, die sie bewohnen und nicht jene, denen es nur um den Profit geht. Wir wünschen uns, dass die Bewohner*innen der Viertel über diese entscheiden.
Das wirkt alles fern und abstrakt auf dich? Wir geben zu: Als Bild wirkt dies erstmal sehr fern und romantisch.
Selbstverwaltet, Selbstbestimmt, Solidarisch
Aber auch in dieser Stadt schließen sich Menschen schon auf vielfältige Arten zusammen:
Kollektive versuchen gemeinsam Häuser zu kaufen und diese dann selbst zu verwalten, damit sie dauerhaft dem spekulativen Wohnungsmarkt entzogen sind. Andere besetzen leerstehende Flächen oder Häuser. Kleine Basisgewerkschaften wie die FAU oder die IWW organisieren sich gemeinsam, um die Interessen der Arbeiter*innen am Arbeitsplatz durchzusetzen. Mietparteien von Häusern schließen sich zusammen, um gemeinsam dem Druck der Hausverwaltungen zu begegnen. Und solidarische Nachbar*innen treffen sich (zum Beispiel) in der autonomen Erwerblosinitiative oder im „solidarischen Netzwerk“ um gemeinsam gegen Probleme im Alltag vorzugehen – egal ob mit Chef*in, Arbeitsamt oder bei Stress mit den Vermieter*innen. Autonome Stadtteilprojekte wie die nachbarschaftlichen Projekte in der Gießerstrasse sorgen für einen unkommerziellen und solidarischen Austausch untereinander. Wieder andere Projekte und Gruppen stehen für eine solidarische Gesellschaft von unten ein, engagieren sich gegen Diskriminierung und Unterdrückung. In vielen kleinen und großen Kollektiven organisieren wir unser Leben gemeinsam und stehen füreinander ein.
Wir denken, dass wir alle hier über kurz oder lang von den Auswirkungen der Gentrifizierung betroffen sein werden. Diesen Kampf nicht gemeinsam als Nachbarschaft zu führen, hieße ihn isoliert und vereinzelt nach und nach zu verlieren. Das muss nicht sein!
Lasst uns zusammenkommen und uns gemeinsam organisieren:
Für eine Stadt von unten – Für die Selbstverwaltung unserer Leben – Für Solidarität statt Verwertung
Einige Anarchist*innen aus dem Leipziger Westen
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Leipzig muss ‘Rebel City’ werden!
Aufruf von Democracy in Europe Movement 2025
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The question of what kind of city we want cannot be divorced from that of what kind of social ties, relationship to nature, lifestyles, technologies and aesthetic values we desire. The right to the city is far more than the individual liberty to access urban resources: it is a right to change ourselves by changing the city. It is, moreover, a common rather than an individual right since this transformation inevitably depends upon the exercise of a collective power to reshape the processes of urbanization. The freedom to make and remake our cities and ourselves is, I want to argue, one of the most precious yet most neglected of our human rights.
David Harvey
In was für einer Stadt wollen wir leben?
Weltweit gehen immer mehr Menschen auf die Straßen ihrer Städte, um gegen den Verkauf eben jener Städte zu protestieren. Diese Menschen, Initiativen und Städte versuchen eine reale Perspektive zu bieten. Gestützt auf bürgerliche und soziale Rechte, wollen sie bessere Lebensbedingungen für alle gewährleisten. Und sie haben Erfolg.
Von den Protesten auf den Straßen, die bspw. gegen Großbauprojekte und für selbstverwaltete Räume kämpfen, bilden sich immer mehr Netzwerke und Initativen, die sich auch institutionell gegen Privatisierung, Gentrifizierung und die autoritären “Neugestaltung„ ganzer Städte und Stadtteile zur Wehr setzen. Die Wahl Ada Colaus zur Bürgermeisterin von Barcelona oder Luigi de „Magistris in Neapel gehören zu den jüngsten Erfolgen dieser Bewegungen auf europäischer Ebene. Immer mehr Städte rebellieren.
Die Städte müssen rebellisch werden
Viele dieser Städte stehen in intensivem Austausch und bilden ein Netzwerk aus sog. „Rebel Cities“. Der Begriff „Rebel Cities„ geht in erster Linie auf Sozialtheoretiker David Harvey zurück. Dieser stellt die moderne Form von Kapitalakkumulation in direkten Zusammenhang zur (städte-)baulichen Entwicklung, da diese globale Geldströme kanalisieren und überschüssiges Kapital absorbieren.
In Deutschland haben die Proteste gegen Großprojekte wie Stuttgart 21 oder den Berlin-Brandenburgischen Flughafen große Aufmerksamkeit erregt. Genau diese sind es, von denen Harvey gesprochen hat: internationales Geld sucht nach lukrativen Investitionen und führt so nicht nur zu wirtschaftliche Krisen und Immobilienblasen, sondern übergeht auch die Stadtbewohner*innen, wenn sie nicht sogar entmietet und entrechtet werden. Doch das Problem liegt noch tiefer.
Die Folgen sind für uns alle zu spüren!
Es geht um mehr, als um globale Wirtschaftszyklen. Im Konzept der „Rebel Cities„ stehen soziale Aspekte im Vordergrund. Es geht um die Nutzung unserer Städte, Stadtteile, Kieze, Nachbarschaften und damit auch um politische Beteiligung – um die alltägliche, soziale, kommunale und selbstverwaltete Arbeit an einer Stadt von Unten und die Herausforderung städtischen Institutionen.
Dies weitet den Problemkreis von neoliberaler Privatisierung und Gentrifizierung aus. Hier geht es nicht nur um Wohnungs- und Mietpolitik: Das Problem hat wesentlich mehr Facetten. Beispielsweise gibt es eine Gruppe, deren Wohnsituation besonders prekär ist: Migrant*innen. Oder die Tatsache, dass die europäischen Städte 75% des Energieverbrauchs und 80% der Emissionen verursachen. Rebellisch wäre eine Stadt dann, wenn wir es schaffen einen Raum zu schaffen, in dem wir alle gerecht, nachhaltig und in gegenseitigem Respekt leben können.
Privatisierung und Gentrifizierung sind europäische Probleme
Dieser Ansatz muss auf einer europäischen Ebene gedacht werden: Seit der Jahrtausendwende leben mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land. Im europäischen Kontext leben 70% der Europäer*innen in der Stadt. Es geht um Landflucht und Verstädterung als ein Folge eines Kapitalismus, der diese Entwicklung mit prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen organisiert. Überall auf der Welt stehen Menschen auf, um die Stadt zurückzugewinnen und einen echten kollektiven Raum zu schaffen. Die Spar- und Austeritätspolitik führt zur Atomisierung, Prekarisierung und Ungleichheit. Und sie birgt die Gefahr von nationalistischen, autoritären und rassistischen Wende in Europa.
Der Kampf um unsere Städte ist auch ein Kampf um Europa. Die Phänomene, gegen die wir uns wehren wollen, sind überall zu betrachten – in Lissabon wie in Belgrad, in Helsinki wie in Thessaloniki. All diese Städte haben das Potential, progressive Politik auf kommunaler Ebene voranzutreiben. Und in diesen turbulenten Zeiten könnte ein Netz von Städten des Wandels nur die Rebellion bringen, die nötig ist, um das Schicksal dieses Kontinents zu verändern.
Leipzig muss rebellisch werden!
Es geht uns im Recht auf Stadt-Diskurs, um Deutungshoheit und Selbstverwaltung des öffentlichen Raums, um die Offenheit und Freiheit unserer Städte und den Widerstand gegen die Kommerzialisierung und Privatisierung im Rahmen eines um sich greifenden Neoliberalismus. Dieser Widerstand kann nicht nur ziviler, sondern eben auch institutioneller Ungehorsam sein. Es geht darum, eine europäische Rebellion für ein europäisches Demos zu erkämpfen. Sie soll überall stattfinden – in Städten, in Regionen, in Hauptstädten von Nationalstaaten und in Brüssel -, ohne einer Ebene Vorrang vor einer anderen einzuräumen. Nur durch dieses gesamteuropäische Netzwerk von Rebellenstädten, Regionen und nationalen Regierungen kann eine fortschrittliche Bewegung in Italien, in Griechenland, in England – und überall – hegemonial werden. Städtische Probleme gibt es in allen europäischen, ja allen Städten weltweit; diese zu sammeln und zu koordinieren wird eine gewaltige Aufgabe für die Zukunft sein.
Wir haben eine gemeinsame Stimme und fordern „Stadt für alle statt für Profite!„
Wir setzen Solidarität und Widerstand gegen die kapitalistische Wohnungspolitik!
Demonstriert mit uns am 20.04. gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung!
DiEM25 DSC Leipzig
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Im Leipziger Süden bewegt sich vieles! Zeit sich zu organisieren!
Aufruf von Jule Nagel
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Der Leopold-Park in Leipzig-Connewitz ist seit Montag, dem 12.2.2018 Geschichte. Zumindest fast. Es dürfte nur noch wenige Wochen dauern, bis die Bauarbeiten auf dem Grundstück beginnen. Geplant ist der Bau von 94 Wohneinheiten durch einen namentlich nicht bekannten Investor.
Das Verschwinden des Leopoldpark, jahrelang von Bewohner*innen als Gründ. Erholungs- und Treffort genutzt, ist eine Zäsur im Kampf für eine Stadt für alle. Wohlgemerkt in einem Stadtteil, der für seine Widerständigkeit bekannt ist.
Das Los des Leopoldparks ist schon länger bekannt. Bereits im Jahr 2015 geisterte die Information über den Verkauf der Fläche durch die Öffentlichkeit. Für 2,2 Millionen Euro soll die im Flächennutzungsplan für Wohnungsbau vorgesehene Fläche in die Hand des neuen Investors gegangen sein. Der Verkäufer hatte das Fleckchen, das immerhin 5600 qm umfasst, 2004 von der TLG erworben. Bereits 2001 wurde eine Zwischennutzung als öffentliche Grünanlage zwingend festgelegt, wurden Wege angelegt und eine Tischtennisplatte aufgestellt. Diese Nutzung wurde vom alten Eigentümer per Gestattungsvertrag zugelassen und durch Pflegeleistungen vom Amt für Stadtgrün und Gewässer mit Leben erfüllt.
Mitte August 2017 wurde dem neuen Eigentümer die Baugenehmigung erteilt. Die Stadt hatte weder ihr Vorkaufsrecht genutzt, noch den Bestand der Grünfläche oder aber die Schaffung von Sozialwohnungen per Bebauungsplan festgesetzt. Dies einzufordern wäre ein Ziel einer zivilgesellschaftlichen und politischen Intervention gewesen. Und klar: Hier haben der Stadtteil und politische Akteure versagt.
Zur Rettung der Fläche vor der prinzipiellen Bebauung und insbesondere der Errichtung von teuren Wohnungen, wie es zu erwarten ist, gab es zwei Initiativen: Eine von Parkschützern und die Kampagne „Connewitz für Geflüchtete“. Während erstere schnell wieder von der Bildfläche verschwand, sammelte letztere über Monate 1300 Unterschriften für die Nutzung der Fläche zur Errichtung einer Unterkunft für Geflüchtete. Beide Anliegen scheiterten.
Vor allem aber fehlte der langatmige Druck für eine grundsätzlich andere Lösung aus der Bewohner*innenschaft in Connewitz. Erst mit dem Tag des Abrisses des Leopold-Parks hitzten sich die Gemüter wieder auf. Berechtigterweise, aber eben zu spät.
Das Ende des Leopoldparks bettet sich ein in eine Reihe von mehr bzw. auch weniger schleichenden Entwicklungen im Kiez. Vor kurzem machte die Kneipe Black Label in der Wolfgang-Heinze-Straße publik, dass der Freisitz, geteilt mit dem Viele-Arten-Garten des BUND (der VAGaBUND), passé ist. Auch hier soll ein Mehrfamilienhaus entstehen. Die Kneipe „Frau Krause“ in der Simildenstraße kämpft schon seit geraumer Zeit mit unverschämten Mieterhöhungen für ihre Räume.
An allen Ecken und Enden in Connewitz wurde und wird gebaut. Ob die neu entstandenen teuren Studentenappartments am Kreuz (Zimmermiete zwischen 400 und 700 Euro), die Bebauungen in der Biedermann Ecke Leopoldstraße, an der Scheffelstraße (Ex-Elastic, Warmmiete bei zirka 15 Euro/ qm) oder zukünftig in der Mühlholzgasse/ Wolfgang-Heinze-Straße gegenüber des Leopold-Park oder in der Bornaischen Straße 10-16 („Mikro-Appartments“ ab 450 Euro): Jede unbebaute Fläche scheint sukzessive in Wert gesetzt zu werden. Hinzu kommen Mieterhöhungen im Bestand oder bei Neuvermietungen.
Nicht beendet ist zudem die Auseinandersetzung mit der kommunalen Wohnungsgesellschaft LWB um den Leerzug und die geplante Sanierung von 340 Wohnungen in Connewitz und der Südvorstadt. Die verbleibenden Mieter*innen bangen ganz zurecht um schleichende Entmietung und für sie nicht mehr leistbare Mieten nach der Sanierung. So stiegen die Mieten in einem der ersten betroffenen Komplexe Brandvorwerkstraße 62 – 64 und der Hardenbergstraße 4 – 6 nach der Sanierung von 3,71 Euro auf zirka 10 Euro
Es ist klar, dass eine wachsende Stadt Raum zum Wohnen braucht. Doch die Konditionen sind entscheidend: Wer kann sich die entstehenden Wohnungen leisten (selbst mit der Landesförderung für sozialen Wohnungsbau bleibt eine Miete von 6 Euro kalt, was Geringverdiener*innen oder Sozialleistungsempfänger*innen eben nicht zahlen können) und zu welchem ökologischen und ideellen „Preis“? Der Auenwald vor der Tür und die zwei Grünflächen um die Ecke nutzen nichts mehr, wenn rund herum alles zugebaut wird. Freiräume für das Zusammenkommen ohne Konsumzwang verschwinden und das soziale Miteinander hat keine Orte mehr.
Es ist in diesem Sinne richtig und wichtig, das Verschwinden des Leopold-Parks mindestens als Zäsur für den Kampf um eine Stadt für alle zu markieren und vor allem zu handeln.
Inzwischen hat sich im Leipziger Süden ein neues Netzwerk um die Themen Wohnen/ Mieten/ Stadtentwicklung zusammengefunden. Gemeinsam sollen politische Forderungen formuliert, Aktionen durchgeführt und Support für Betroffene von Entmietung und Verdrängung organisiert werden.
In diesem Sinne: Seien wir realistisch, versuchen wir das (Un)Mögliche!
Kontakt: vernetzung-sued@lists.bitpost.eu
Jule Nagel
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Dieser Ort der Möglichkeiten verwandelt sich in einen Ort des Unmöglichen!
Aufruf von Jürgen Kasek
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Leipzig ist eine der am dynamischsten wachsenden Städte Deutschlands.
Damit einhergehend hat der Druck auf den Immobilienmarkt seit 2011 kontinuierlich zugenommen und dazu geführt, dass der Wohnungsmarkt inzwischen angespannt ist. In der Folge steigen die Mieten rasant. Die Anzahl von Modernisierungsankündigungen und Mieterhöhungen ist ebenso exponentiell gestiegen wie die Zwangsräumungen.
In atemberaubender Geschwindigkeit wird die Stadt umgestaltet. Zwar gelten Kaltmieten von 12 -14€ pro Quadratmeter im Vergleich mit anderen Großstädten noch als moderat. Dabei wird aber oft vergessen, dass das Einkommensniveau in Leipzig deutlich tiefer ist. In einer Situation, in der mehr als 30 % des Einkommens für die Miete aufgewendet werden müssen, steht die Stadtbevölkerung vor einem Problem, dass nur noch durch beherztes politisches Eingreifen zu bewältigen ist.
Mit den steigenden Mieten spitzen sich sozialräumliche Segregationsprozesse zu. Menschen mit geringen Einkommen werden verdrängt und am Ende der sozialen Einkommensklassen tobt der Verteilungskampf um die letzten bezahlbaren Wohnungen. Diese Abwertungsprozesse befeuern auch Einstellungsmuster der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Die Wut der sozial Abgehängten wird durch die Politik mehr und mehr auf diejenigen gelenkt, die ebenso schutzbedürftig sind.
Im Gegensatz dazu, oder möglicherweise schon als Folge davon, sind sogenannte „Gated communities“ auch in Leipzig keine Zukunftsmusik mehr. Diejenigen, die es sich leisten können, wohnen abgeschottet hinter Mauern, von eigenen Kameras und Wachschutz behütet.
Die Folgekosten dieser sozialräumlichen Entmischung spielen in der Debatte keine Rolle. Eine gerechte Gesellschaft, eine Stadt, die nicht nur Wohnort ist sondern ein soziales Gebilde, das den Austausch der Menschen untereinander fördert, kann so nicht mehr gelingen. Im Gegenteil: Die Gesellschaft bricht auseinander.
Neben den Verdrängungsprozessen für Bewohner und der Neuverteilung von Wohnfläche verliert die Stadt überdies ihre Freiräume. Mit der Wohnbebauung im Hochpreissegment steigen nicht nur die Mieten, auch das Bedürfnis nach „Wellness“ nimmt zu. Veranstaltungsorte, die früher für die ganze Stadtteilbevölkerung da waren und von dieser toleriert wurden, werden nun zu Störfaktoren herabgesetzt.
Die Steigerung der Rendite macht vor der Kultur keinen Halt und besonders Veranstaltungsstätten und Galerien ohne vermögende Lobby sind von Repression betroffen. Leipzig stand einst für Freiraum und die Möglichkeit, im Rahmen von kreativen Schaffensprozessen Dinge zu verändern. Dieser Ort der Möglichkeiten verwandelt sich in einen Ort des Unmöglichen!
Mit der zunehmenden Bebauung, die im Spannungsfeld zur gewünschten städtebaulichen Verdichtung steht, gehen aber auch Grünflächen verloren. Und anstatt bei der wachsenden Zahl von Menschen wenigstens auf umweltfreundliche Mobilität zu setzen, drängen Wirtschaft und Politik darauf, mehr Straßen für Autos zu bauen.
Wir sind nicht bereit, diese Prozesse schweigend zu akzeptieren. Wir fordern, dass die Stadt sich unverkennbar für sozialen Wohnungsbau einsetzt. Wir fordern ebenfalls von der Landespolitik ein sozialverträgliches Wohnraumzweckentfremdungsgesetz, um zu verhindern, dass Wohnraum durch Umnutzung zu Ferienwohnungen verloren geht.
Außerdem muss die Stadt von ihrem kommunalen Vorkaufsrecht Gebrauch machen, um Handlungsmöglichkeiten zu bewahren und Freiräume zu halten. Wenn die Stadt Grundstücke verkauft, darf es in erster Linie nicht um den Verkaufspreis gehen, sondern um soziale und ökologische Perspektiven.
Durch eine vorausschauende Bauleitplanung lassen sich aber nicht nur Konflikte vermeiden und Flächen halten. Wir fordern, dass die Stadt dafür Sorge trägt, dass ausreichend viele Wohnungen für ökonomisch schwächere Menschen zur Verfügung stehen und mit ihren Mitteln Investoren dazu verpflichtet für gesunde und bevölkerungsdiverse Wohnraumverteilung Sorge zu tragen. Damit würde sie nicht nur Handlungsfähigkeit beweisen sondern überdies ihrem Ruf als freiheitliche, kreative und fortschrittliche Stadt endlich wieder gerecht werden.
Mit dieser Demonstration wollen wir auf unsere Anliegen aufmerksam machen und gleichzeitig damit den offiziellen Start zum Forum Stadt für Alle vom 20.04.-22.04. in Leipzig geben.
Jürgen Kasek
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Für Wohnen, das auch Leben ist
Text eines betroffenen Mieters und Mitinitiatoren
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“Warum so eine Demo? Es gibt doch sogar ein “Recht auf Wohnen”, oder?
Ja. Wenn du es schaffst, deine Miete zu bezahlen. Wenn du es schaffst, überhaupt eine geeignete Wohnung zu finden. Dann darfst du darin wohnen.
Das heißt aber noch lange nicht, dass es deinen Vermieter, den Eigentümer oder die Stadt interessiert, ob
- du etwas tust, das dich, deinen Stadtteil und die Menschen dort verbindet
- du mit dem Stadtteil seit Jahren verwachsen bist und er Teil deiner Identität ist
- deine Kinder hier zur Schule oder Kita gehen oder du hier Arbeit hast
In all diesen sehr wichtigen Dingen wirst du sehr beeinträchtigt, wenn du die erhöhte Miete nicht mehr zahlen kannst. Dass deine Miete steigen wird ist absehbar, wenn dein Stadtteil gezielt und mit Investitionen „aufgehübscht“ wird. Was wie eine Drohung klingt, ist ein tolles Geschäftsmodell. Und obwohl es eigentlich Erpressung oder Wegelagerei heißen müsste, da man ja nicht daran vorbeikommt, nennt es sich „Aufwertung“.
Von der Stadt wird die Infrastruktur aufgewertet: Straßen, Radwege, verkehrsberuhigte Zonen, Spielplätze, Erholungsorte und Grünflächen werden gebaut oder saniert. Wenn diese Maßnahmen allen Menschen zugute kämen, wäre das auch gut so.
Wie nach Drehbuch erwerben nun aber Investoren Häuser und werten sie auf: Öfen raus und Heizanlage rein, Videogegensprechanlagen, frei hängende Toiletten und Handtuchtrockner am meterhohen Fliesenspiegel, Wasserrohre aus Edelstahl, Gipskartonplatten und Rauhfaser.
In der Folge steigen die Mieten. Das klingt normal, ist aber perfide: Diese „Aufwertung“ bedeutet nämlich, dass Menschen, die diese Mieten nicht zahlen können, automatisch „abgewertet“ werden und ihren Stadtteil verlassen müssen.
Unser Einkommen wird kaum höher, weil wir beide sozialverträglich arbeiten und dadurch nicht viel verdienen. Schlimm genug.
Aber unsere Wohnung in der Karl-Heine-Straße stand in einem Verhältnis zu dem, was wir erwirtschaften können. Kohlen schleppen, Gerüche und Lärm ertragen oder Wasserrohrbrüche abwenden nahmen wir in Kauf. Dafür, dass wir in dem Stadtteil leben können, in dem unser Sozialleben passiert und in dem ich schon als Kind rumgestromert bin.
Nun soll die Wohnung aufgewertet werden. Aber nicht für uns. Denn weder brauchen wir Fensterbänke aus Naturstein oder Videogegensprechen an der Haustür, noch eine Renovierung der Wohnung, die wir als “Modernisierung” zu solchen Anteilen selbst mittragen sollen, dass wir sie schlicht nicht mehr bezahlen können.
Mal ganz abgesehen davon, dass die Wohnung so umgekrempelt werden soll, dass sie nie wieder wirklich unsere sein könnte.A. Lange
Das ist Vertreibung und zerstört unsere Gesellschaft. Statt uns miteinander leben, gegenseitig helfen und gemeinsam etwas schaffen zu lassen, werden wir nach dem Motto „Kasse gleich Klasse“ separiert. So wie ein Bauer die Zuchtbullen auf der Messe ausstellt und die wertlosen Exemplare möglichst los wird. Wir sind aber Menschen! Dieses Verfahren ist absolut unwürdig!
Warum ist die Stadt nicht offen für Millieuschutzgesetze, Erhaltungssatzungen, Stadtteilbebauungspläne oder ähnliche Regelungen (die es in anderen Städten durchaus gibt) mit dem Ziel, dass ein Stadtteil gesund bleibt, weil er menschlich lebendig und durchmischt ist?
Kurz: Warum wird von der Stadt nicht sichergestellt, dass…
- alle Schichten und Generationen an einem Ort Wohnung finden?
- sich miteinander entfalten und gemeinsam leben können?
- kurze Wege zueinander haben und sich gegenseitig unterstützen können?
- sich mit ihrem Wohnort identifizieren können?
- Dem jeweiligen Stadtteil ein menschliches Antlitz geben?
Die Antwort ist (zu) einfach: Es entspricht nicht dem Prinzip des kapitalistischen Wohnungsmarktes. Der Bedarf ist da und die Immobilienwirtschaft baut, wo es geht und nimmt so hohe Mieten, wie es geht. Die Stadt hingegen scheint unfähig, die eigene Fläche selbst zu entwickeln und überträgt diese Aufgabe somit implizit der Wirtschaft.
Das ist nicht nur wegen der unterschiedlichen Auffassungen und Ziele fatal: Die Immobilienwirtschaft wird sogar zum eigentlichen Ansprechpartner für städtebauliche und somit menschliche Belange. Barrierefreie Zugänge für öffentliche Verkehrsmittel werden oft nur dort gebaut, wo sie gesponsert werden. Und das passiert eben eher dort, wo es sich wirtschaftlich lohnt. Sogar ob, wann und wo Schulen gebaut werden, hängt vom Eigentümer des Grundstückes ab ¹. Und Grundstücke verkauft die Stadt leider gern und ohne viel zu prüfen ².
Die Chance, dem vielbeschworenen “historischen” Leipzig einen guten Start in ein neues Jahrtausend zu geben, wird ohne Not vertan. Vielleicht aus der Angst heraus, Fehler zu machen, gibt die Stadt jeden gestalterischen Willen auf. Sie sieht dabei zu, wie sie selbst zur reinen Verwaltung degradiert wird. Sie scheint noch stolz darauf zu sein, wenn sie die letzten Ecken, an denen sich ein Investor stoßen könnte, für ihn abschleifen darf.
Somit verhält sie sich in krassem Gegensatz zu den freiheitlichen, kreativen und fortschrittlichen Werten, die sie gern repräsentieren möchte. Für mich verliert die Stadt dadurch ihren Stolz.
Ich als langjähriger Bewohner dieser Stadt möchte mir meinen Stolz bewahren. Dazu gehört jetzt, dass ich die Stadt darauf hinweise, dass sie falsch agiert. Die Demo am 04.04. gibt auch mir persönlich dazu Gelegenheit. Im Sinne einer differenzierten Debatte soll diese Demo aber vielen verschiedenen Menschen ein Sprachrohr bieten. Ich freue mich, wenn möglichst viele sich dazu eingeladen fühlen und davon Gebrauch machen.
A. Lange
¹ Es wird nun gebaut in Kleinzschocher, aber nicht ohne dass sich die Stadtbau AG mittels eines Tricks daran bereichern konnte: http://www.lvz.de/Leipzig/Lokales/Leipziger-Liegenschaftsamt-versagt-beim-Ankauf-von-wichtiger-Schulbau-Flaeche
² Nur die Spitze des Eisberges (LWB). Insbesondere der Punkt 2.3 in der Mitte des Dokumentes liest sich sehr unterhaltsam:
http://www.rechnungshof.sachsen.de/jb2009/jb09-46.pdf
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