Offener Brief

Im August wird im Stadtrat über die Anträge der Linken und der Grünen zum Thema Milieuschutz und Erhaltungssatzung entschieden. Dabei geht es vor allem um Stadtteile im Osten, aber auch weitere Gebiete von Leipzig. Mit dem offenen Brief und vielen Menschen und Gruppen, die ihn unterzeichnen, möchten wir den Politiker*innen verdeutlichen, wie wichtig dieses Thema ist.

Falls ihr als Mitunterzeichner*innen dieses Briefes genannt werden möchtet, schreibt uns bis zum 5.8.2018 eine E-Mail an leipzigfueralle@posteo.de

 

Für eine funktionierende Stadt

Sehr geehrte Damen und Herren,

denken wir unsere Stadt von den Menschen her. Legen wir unseren Überlegungen und unserem Handeln das Wohl aller zugrunde, die in dieser Stadt leben, wohnen, mieten und arbeiten!
Wir stellen fest: Bei weniger als 3% Leerstand an vermietbaren Wohnungen verstärken sich soziale Spannungen. Derzeit hat Leipzig ca. 580.000 Einwohner*innen, bis zum Jahr 2030 sollen schätzungsweise weitere 100.000 bis 200.000 Menschen hinzuziehen. Dementsprechend müsste der jährliche Neubau auf 4.000 bis 5.000 Wohnungen verdoppelt werden (vgl. Rink, 21.06.2018, Die Zeit). Dazu wird ein Konzept nötig sein, dass den Wandel der Stadt sozialverträglich und zum Wohle der Mehrheit seiner Bürger gestaltet.

Mietpreise werden von Wohneigentümer*innen als abstrakter Warenpreis kalkuliert
– die Wohnung als intimster Schutzort des Menschen tritt dahinter zurück.
Die Bereitstellung von Wohnfläche wird nicht von einer Zielvorgabe z. B. der maximalen Kaltmiete her kalkuliert, sondern von den fiktiven „Ansprüchen“ potenzieller Wohnungsinteressent*innen an die Ausstattung. Der Wunsch eine möglichst hohe Rendite zu erzielen, führt zu Modernisierungen entlang der Eckpunkte des qualifizierten Mietspiegels. Nach Aussage des Mietervereins Leipzig und handwerklicher Betriebe rollt durch die Stadt eine neue Modernisierungswelle. Angeblich waren viele Sanierungen kurz vor der Jahrtausendwende qualitativ minderwertig, sodass nun erneut die Kelle in die
Hand genommen werden müsse. Damit wird derzeit im Bestand modernisiert, was gemäß Mietspiegel profitabel ist. Zum Beispiel erhöht sich die Miete durch Austausch eines „normalen“ und ebenso teuren Heizkörpers durch einen Handtuchwandheizkörper um 22 ct/m², d. h. für eine Wohnung von 65 m² sind im Monat 14,30 „‚¬, im Jahr 171,60 „‚¬ mehr zu zahlen. Ende Juni 2018 startet der Mieterverein eine Petition zur Senkung der Umlagepauschale der Modernisierungskosten. Bei der bestehenden Rechtslage sind jährlich und zeitlich unbegrenzt 11 % der Modernisierungskosten auf die Miete umlagefähig. Für Vermieter*innen lohnt sich angesichts der herrschenden Nullzinspolitik auch die kleinste Modernisierung. Vor allem die energetischen Modernisierungen bringen nur einstellige Einsparungen bei den Verbrauchskosten für die Mieter*innen, zahlen sich aber um so mehr für die Vermieter*innen aus.
Der entstandene Vermarktungsdruck, der oftmals als wirtschaftlich notwendig und vernünftig bezeichnet wird, führt zu Verdrängung. Diese zwingt Menschen zunehmend in Viertel an der Peripherie und auch aus der Stadt heraus. Die Kosten für die steigenden Anforderungen an die individuelle Mobilität tragen in erster Linie die Verdrängten und später auch die Zurückgebliebenen. Wo Menschen ihrer Heimat verlassen, wandeln sich soziale Strukturen. Wo die Vermischung gesellschaftlicher Gruppen fehlt, beginnt die Ab- und Ausgrenzung. Das Gemeinwohl leidet, auch wenn dies erst zeitlich versetzt spürbar wird.

Bei Neuvermietung können die Mieten gleitend nach oben ausgetestet werden.
Es besteht für Vermieter*innen ein gesetzlicher Anspruch auf Anhebung der Miete auf das Niveau des Mietspiegels. Die jetzige gesetzliche Lage schützt Mieter*innen aber bei Neuvermietung nicht davor, Mieten deutlich über dem Mietspiegel zahlen zu müssen. Mieter*innen können sich dagegen momentan nicht wehren, weil in Leipzig ein Angebotsmarkt vorherrscht. Nicht das Notwendige wird getan, sondern das, was Wohnen teurer macht. Eine wirksame Mietpreisbremse könnte diesen Zustand zum Teil verändern.

Die Entwicklungen im Bestands- und Neuvermietungsbereich haben ihren Ursprung im sowie einen weitreichenden Einfluss auf den qualifizierten Mietspiegel.
Der aktuelle qualifizierte Mietspiegel von 2016 wird alle zwei Jahre und damit in diesem Jahr angepasst. Grundlage dafür sind Bestandsmieten nach Modernisierung sowie Neuvermietungen. Außen vor bleiben somit die gleich gebliebenen Bestandsmieten. Damit ist absehbar, dass das Mietniveau in Leipzig weiter kontinuierlich steigen wird. Im Gegenzug stagnieren die Löhne vor allem in den unteren Bereichen. Statistiken zeigen, dass ein Großteil der Leipziger Bürger*innen monatlich nicht nur 30 %, sondern sogar fast die Hälfte ihres Haushaltseinkommens für ihre Miete aufwenden müssen, wodurch sie stark armutsgefährdet sind. Wer nunmehr zwei Jobs braucht, um seine Mietkosten zu decken und noch etwas zum Leben zu haben, dem fehlt unter anderem die Zeit für Ehrenamt und Bürgerbeteiligung. Aber genau davon profitiert unsere Stadt immens. Ganze Stadtviertel sind deswegenfür Zuziehende attraktiv, weil in ihnen ein pulsierendes Zusammenleben mit Freiräumen möglich ist.

Wie wollen wir also zukünftig wohnen?
In Leipzig wohnen neun von zehn Menschen zur Miete. Selbst wenn Mieter*innen all ihren Pflichten des Mietvertrages stets nachkommen, haben ihre Vermieter*innen das Recht, jederzeit zu kündigen – das zugrunde liegende “berechtigte Interesse” kann z. B. die “angemessene” wirtschaftliche Verwertung sein, natürlich über der aktuell gezahlten Miete. Die Kündigung muss nicht zulässig sein, aber ab diesem Zeitpunkt müssen Mieter*innen entweder ausziehen oder der Kündigung widersprechen. Ziehen sie aus, treten beim Umzug die beschriebenen Mechanismen der Mieterhöhung in Kraft.
Widersprechen sie, begeben sie sich in einen kostenintensiven, langwierigen und in seinen Folgen unabsehbaren Gerichtsprozesses.

Soll Leipzig eine Stadt für alle sein, dann müssen Mieter*innen besser vor der Profitgier der Eigentümer*innen geschützt werden. Wenn wir ihnen die Ängste um einen bezahlbaren Wohnraum nehmen wollen, müssen wir jetzt handeln. Das Baugesetzbuch bietet auf kommunaler Ebene dazu geeignete Werkzeuge, um Erreichtes zu erhalten und Positives zu fördern.

Für die Ortsteile Neustadt-Neuschönefeld, Volksmarsdorf sowie Teile von Sellerhausen-Stünz (Bülowviertel) und Anger-Crottendorf ist der Erlass einer Erhaltungssatzung (Milieuschutz) dringend geboten. Eine Erhaltungssatzung verhindert keine Entwicklung und wirtschaftliche Tätigkeit, auch nicht im Immobiliensegment. Sie steuert lediglich, zeigt auf und schafft Regeln, damit es allen hier Lebenden leichter gemacht wird, sich in unserem Gemeinwesen wohl zu fühlen und damit niemand eine Angst vor dem Morgen haben muss. Sie ist das geeignete Mittel, um die Attraktivität Leipzigs und ihrer besonderen Stadtteile zu erhalten und zu fördern.

Daher möchten wir Sie auffordern, in der Ratsversammlung für eine zeitnahe Aufstellung einer Erhaltungssatzung nach §172 BauGB sowie bis zu deren Erlass für eine Veränderungssperre zu votieren. Wir fordern Sie damit zugleich auf, die notwendigen Schritte in die Wege zu leiten, um die für eine Durchsetzung der Erhaltungssatzung nötigen personellen Kapazitäten sowie die finanziellen Mittelfür eine Nutzung des Vorkaufsrechts bereitzustellen. Prüfen Sie bitte darüber hinaus zügig den Erlass einer Erhaltungssatzung für weitere Ortsteile.

 

Falls ihr als Mitunterzeichner*innen dieses Briefes genannt werden möchtet, schreibt uns bis zum 5.8.2018 eine E-Mail an leipzigfueralle@posteo.de

Ein Gedanke zu „Offener Brief

  1. Schlau planen, sich nicht von Investoren und den Geschäftstüchtigen den Weg vorgeben lassen. Was wollen, was brauchen die Menschen in der Stadt, die nicht gern immer noch mehr arbeiten wollen, nur um zu wohnen.

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